Und wieder ist es soweit. Ein eloquenter, selbstsicher auftretender „Experte“ weiht mich in das Geheimnis immerwährenden beruflichen Erfolgs ein: Nur diese Handvoll Körpersignale muss ich erkennen und einsetzen – natürlich losgelöst von sämtlichen situativen Einflussfaktoren.
Weder mein Augenrollen noch mein Kopfschütteln – noch nicht einmal meine betont gelangweilte Körpersprache kann ihn in seinem Eifer bremsen. Doch eins bleibt Fakt: Es ist sehr kurzsichtig zu glauben, man könne durch Auswendiglernen einzelner, losgelöster Körpersignale und Körpermerkmale auf die Persönlichkeit oder die Motive schließen. Das Zusammenspiel von Person, Gestik, Mimik und Tonalität im situativen Kontext ist zu vielschichtig und komplex, als dass es eine Checkliste geben könnte.
Genauso gut könnten wir einem Prosopagnostiker (also jemandem, der unfähig ist, Gesichter zuzuordnen) eine Checkliste in die Hand geben. Er wird niemals durch Abhaken dieser Liste in der Lage sein, seine Kollegen, seinen Ehepartner oder seine Kinder am Gesicht zu erkennen.
Wer Körpersignale in ihrer Gesamtheit nicht erkennen kann, ist im Grunde ein körpersprachlicher Prosopagnostiker. Checklisten wie * Hat sie lackierte Fingernägel? * Trägt er Anzug?* Schaut sie dir in die Augen? * Ist der Stand der Füße eng oder weit? * nutzen ihm nichts.
Und jemand, der Körpersignale in ihrer Gesamtheit wahrnehmen kann, braucht solche Listen auch nicht – er braucht Erfahrungen und vielfältige zwischenmenschliche Interaktionen. Er muss seinen Gesamteindruck durch Kennenlernen der Person – durch Gespräche, Beobachtungen und Rückmeldungen – überprüfen und gegebenenfalls anpassen. So lernt er mit zunehmender Erfahrung, die wahrgenommenen Signale angemessener zu interpretieren. Auch wird er sich möglicher Fehldeutungen und Fehlerquellen immer bewusster.
Das braucht Zeit, Mut zum Fehler und ein tolerant-wohlwollendes Umfeld. Langfristig angelegte Coachingmaßnahmen wirken dabei unterstützend.